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Dienstag, Juli 20, 2010
Woserin – mehr als eine Kopfsteinpflasterstraße
In Woserin kämpft der „Verein zum Erhalt und zur Sanierung der Woseriner Pflasterstraße e.V.“ seit Jahren gegen die Absicht, die Dorfstraße aufzunehmen und für horrende Kosten in Asphalt neu zu bauen.
Die Argumente und die Vorgehensweise der Asphalt-Befürworter sind dabei so wenig überzeugend, dass es wohl lohnt, sich näher mit dem vermeintlich nur lokalen Problem zu befassen. Es geht um mehr als um die 149-jährige Pflasterstraße (welche Asphaltstraße überlebt so einen Zeitraum ohne Reparatur?). Es geht offenbar um die Mißachtung der betroffenen Bürger, um isoliertes Entscheiden der Gemeindevertretung, um die Umkehrung des Verhältnisses zwischen Verwaltung und gewähltem Gremium, um Falschinformationen, um den unglücklichen Einsatz von Fördermitteln und im Hintergrund wohl auch um (erfolgreiche) Lobbyarbeit potentieller Tiefbau-Auftragnehmer. Alles Aspekte, die auch in anderen Gemeinden auftreten (können).
In diesem ersten Teil befassen wir uns mit höchst widersprüchlichen Darstellungen.
Es wird versucht, den Zustand der Straße schlecht zu reden
Die Pflasterstraße befinde sich seit Jahren in einem schlechten Zustand und entspreche nicht den Anforderungen an eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur, sagt das Bauamt des Amtes Sternberger Seenlandschaft.
Diese Behauptung entspricht nicht der Wahrheit. Der schlechte Zustand beschränkt sich auf nur 10-15 % der Gesamtfläche im denkmalgeschützten Bereich und maximal 30 % außerhalb des denkmalgeschützten Bereiches (Gutachten von Herrn Dipl.-Ing. Spuhn, freier Sachverständiger für Natursteinpflaster, vom 7. Juni 2010). Die fehlerhaften Stellen könnten mit einem Zehntel der für den Neubau veranschlagten Kosten instand gesetzt werden. Und wären um ein vielfaches langlebiger als jede Ashaltstraße. Welchem Tiefbaubetrieb ist das zu wenig Verdienst?
Die vorhandene Kopfsteinpflasterstraße erfüllt nach einer Reparatur die Anforderungen an eine funktionierende Ortsverbindungsstraße – und mehr ist diese Straße nicht!
Der vorhandene Oberbau der Straße weise keine ausreichende Tragkraft auf, so dass aufgrund der Verkehrsbelastung eine grundhafte Erneuerung zwingend erforderlich sei. Sagt das Bauamt des Amtes Sternberger Seenlandschaft.
Gibt es hierzu Daten oder nur Meinungen? Ein aktuelles Gutachten von Herrn Spuhn weist eindeutig aus, dass die Straße als Anlieger- und Orstverbindungsstraße eine ausreichende Tragfähigkeit besitzt. Zugleich stellt er fest, dass frühere Gutachten mit anders lautenden Aussagen nicht verwertbar sind, weil sie keine Angaben zu den Prüfbedingungen enthalten (die Aussagen schwanken zwischen a) 10 bis 25 MN/m² und b) 41 bis 82,7 MN/m²!).
Auch eine geordnete Abführung des Regenwassers sei zurzeit nicht gegeben. Stellt das Bauamt des Amtes Sternberger Seenlandschaft fest.
Eine geordnete Abführung ist vorhanden, wurde aber seit Jahren nicht mehr gepflegt. Die fehlende Instandhaltung kann keinesfalls ein Argument für den Neubau als Asphaltstraße sein.
Es wird versucht, die Funktion der Straße verbal aufzuwerten.
Sie dient nach Aussage des Bauamtes auch als Durchgangsstraße von der B 192 bis zur Nachbargemeinde Mustin.
Diese Aussage ist falsch: Die Durchgangsstraße von der B192 bis zur Nachbargemeinde Mustin ist die gewidmete Kreisstraße Borkow-Mustin. Die Ortsverbindungsstraße Woserin-Hohenfelde-Bolz-Mustin ist nicht nur wesentlich länger (Neu Woserin-Woserin-Hohenfelde-Bolz-Mustin 8,5 km; Borkow-Mustin nur 4,6 km), sondern ein schmaler Weg von knapp 3 m ohne Ausweichstellen. Der Ziel- und Quellverkehr der drei Siedlungsflecken Woserin, Hohenfelde und Bolz rechtfertigt keinen Ausbau dieser Straße innerhalb von Woserin.
Ein Befahren der Straße mit Fahrzeugen bis 40 t und mehr sei dadurch nicht auszuschließen, zumal sich eine landwirtschaftliche Betriebsstätte im Ortsteil Woserin befinde.
Zum Befahren der Pflasterstraße mit Fahrzeugen bis 40 t vgl. sagt das Gutachten des Pflasterstraßen-Sachverständigen Spuhn aus: „Bei einer Befahrung mit einem 40 t Lkw und einer 10 t-Achslast wird eine Vertikallast von 8 kg/m 2 auf das Pflaster eingetragen. In der Zeit von 1861 bis mindestens um 1900 werden überwiegend Fuhrwerke die Straße benutzt haben. Wenn hier zum Beispiel Fuhrwerke mit 2.000 kg Gesamtgewicht und einem 4-rädrigem Wagen mit 6 Zoll Reifenbreite gefahren sind, so sind Lasten von 50 kg/m2 keine Seltenheit gewesen. Das bedeutet, dass die Lasteintragung vor 100 Jahren ein Vielfaches von den heutigen Lasteintragungen war.“
Es wird versucht, gutachtliche Aussagen in Zweifel zu ziehen und Verwirrung zu stiften
Der Woseriner Verein gab beim Ingenieurbüro INROS LACKNER AG (Rostock) eine Untersuchung in Auftrag, die klären sollte, ob die vom Bauamt des Amtes Sternberger Seenlandschaft behauptete Bauklasse IV oder nur die Bauklasse VI notwendig sei. Um die Kosten beherrschbar zu halten, wählte das Ingenieurbüro die Methode einer Verkehrszählung und leitete ab, die Straße sei der Bauklasse VI zuzuordnen.
Das Bauamt im Amt Sternberger Seenlandschaft versucht mit folgendem Text, diese Ableitung in Frage zu stellen: Zu den Angaben der Bauklasse IV und VI gebe es unterschiedliche Aussagen. So sei durch das Amt Sternberger Seenlandschaft Rücksprache mit dem Ingenieurbüro gehalten worden, das für den Verein die Verkehrszählung durchgeführt habe. Es sei die Aussage gekommen, dass das Ingenieurbüro eine Bauklasse aufgrund der Daten nicht festlegen könne.
Hierzu teilte das Ingenieurbüro INROS LACKNER AG (Rostock) mit Schreiben vom 1.7.2010 seinem Autraggeber, dem Woseriner Verein, folgendes mit: „Unsere Untersuchung im Mai 2009 beinhaltete die Durchführung und Auswertung einer Verkehrszählung. Die Ableitung der Bauklasse haben wir zusätzlich und vorbehaltlich weiterer, uns unbekannter Kennwerte zur verbindlichen Bemessung einer Straße vorgenommen. Diesen Sachverhalt haben wir mehrfach kommuniziert, u.a. auch mit dem Amt Sternberger Seenlandschaft.“
Diese Aussage ist deckungsgleich mit den Aussagen im Gutachten von INROS LACKNER AG.
Das Bauamt im Amt Sternberger Seenland hingegen versucht mit dem oben zitierten Text den Eindruck zu erwecken, als hätte INROS LACKNER AG seine gutachtlichen Aussagen zurückgenommen.
Sicherheitshalber – und um die Verwirrung komplett zu machen – schiebt das Bauamt, nachdem es die Bauklassenableitung in Frage gestellt hat, noch nach, die Bauklasse sei ja gar nicht so wichtig: Die Feststellung einer Bauklasse sei zwar Voraussetzung für den Ausbau der Straße, um die Tragfähigkeit des Straßenoberbaus zu gewährleisten. Eine Reduzierung der Bauklasse IV auf Bauklasse VI sage aber grundsätzlich noch nichts über die mögliche Ausbauart der Straße (Pflaster oder Asphalt) aus. Unabhängig davon, wie die Gemeinde die Straße erneuern wolle, müsse das Pflaster aufgenommen werden, um den vorhandenen Unterbau für die erforderliche Belastbarkeit der Straße zu ertüchtigen.
Mit anderen Worten: Was immer für den Erhalt der Kopfsteinpflasterstraße vorgebracht wird, es soll neu gebaut werden! Wem nutzt das?
PS. Der Verein Kultur-Landschaft e.V. (www.kultur-landschaft.org) veranstaltet am 4. September im Woseriner Gutshaus eine Tagung zum Thema Pflasterstraßen!
Edited on: Mittwoch, März 14, 2012 11:04
Categories: Pflasterstrassen